An den Bundeslandwirtschaftsminister:
Ohne Förderung gerät auch das bereits Erreichte in Gefahr
Foto: Bernhard Schneider
(2. August 2023) Würzburg – Cem Özdemir, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, hat auf seiner Sommerreise 2023 laut Aussage aus seinem unmittelbaren Umfeld die unterschiedlichen Gesprächspartner oft übers Geld klagen hören. Wie gravierend die Auswirkungen seien, wenn die Fördermittel im bisher geplanten Umfang gekürzt würden, erfuhr er aber wohl besonders drastisch im Oberen Werntal bei Schweinfurt. Der Minister erklärte, es schmerze ihn, wenn erfolgreiche Bemühungen, die Ortskerne zu beleben und die Flur zu renaturieren, ins Stocken gerieten oder gar eingestellt würden. Er werde am Kabinettstisch in Berlin um jeden Euro kämpfen.
Vor allem geht es um die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ – kurz: um GAK-Maßnahmen. Von diesen profitiert der ländliche Raum gleich in mehrfacher Hinsicht. Jürgen Eisentraut, Leiter des Amtes für Ländliche Entwicklung (ALE) Unterfranken, machte dem Gast aus der Hauptstadt deutlich, dass jeder von seiner Behörde gewährte Zuschuss in der Regel das Siebenfache an privaten Investitionen nach sich zieht. Bliebe die Unterstützung im großen Umfang aus, hätte dies negative Einflüsse auf die regionale Wirtschaft. Und in der Folge würde auch das soziale Gefüge Schaden nehmen, wenn die Dörfer veröden.
Idealer Lebensraum
Anderthalb Stunden standen für den Informationsaustausch zur Verfügung. Das ALE und seine Partner von der Integrierten Ländlichen Entwicklung (ILE) luden Özdemir ein, Dreierlei zu besichtigen und dabei einen persönlichen Eindruck zu gewinnen, was ein gezielter Einsatz von Fördermitteln des Bundes und des Freistaates Bayern bewirken kann, beziehungsweise zu erahnen, um wieviel die Gesellschaft ärmer wäre, wenn diese Dinge fehlten.
Zum einen erhielt der Minister einen Einblick, auf was es heutzutage bei einer Flurneuordnung ankommt, dass dabei eben ökologische Aspekte ganz wichtig sind. Ein Schutzstreifen am renaturierten Sömmersdorfer Bach vermittelt selbstverständlich ein schönes Bild von Biodiversität. ALE-Abteilungsleiter Johannes Krüger erläuterte vor Ort, dass ein gemeindeübergreifender Gewässerentwicklungsplan erarbeitet werde, um Flora und Fauna einen idealen Lebensraum zu bieten und um auch heftige Niederschläge in der Fläche halten zu können.
Zum anderen waren die Innenentwicklung und Konzepte zum Flächen- und Ressourcensparen ein Schwerpunktthema. Niederwerrns Bürgermeisterin Bettina Bärmann zeigte die Baustelle der „Neuen Mitte“ der Gemeinde. Diese entsteht an der Nahtstelle zwischen Altort und Siedlung und sieht in einem Neubau zum Teil einen Bürgersaal mit Café sowie in einem historischen Fachwerkhaus ein Kolonialwarenmuseum vor.
Dazu gehört eine Heiz- beziehungsweise Energiezentrale in einer alten Scheune, in der Interessierte die moderne Technik kennenlernen können – zum Nachahmen daheim. Architekt Stefan Schlicht betonte, dass der verwendete Beton recycelt wurde und früher eine Autobahnbrücke bei Würzburg war und dass das Holz für die Dach- Deckenkonstruktion im nahen Steigerwald wuchs.
Lebhafte Bürgerbeteiligung
Die verschiedenen Baustoffe und Bauweisen sehen und anfassen zu können, ist einer der Gründe, warum 2008 mitten in Obbach, Ortsteil der Gemeinde Euerbach, eine „Bauhütte“ als landesweites Modellprojekt errichtet wurde. In einem ehemaligen fränkischen Doppelhof hat der Freistaat Bayern für ein außergewöhnliches Musterhaus gesorgt. Altbürgermeister und Ehrenbürger Arthur Arnold berichtete: „Sogar aus China kamen Studenten, um sich Anregungen zu holen.“ Wesentliche Zielgruppe ist allerdings die Bevölkerung der Region. Leerstände sollen vermieden und die hier typische Baukultur bewahrt werden, unterstrich Simone Seufert, Euerbachs Bürgermeisterin und Sprecherin der ILE Oberes Werntal. Sämtliche ILE-Mitglieder hätten sich zur „Stärkung der Ortskerne“ verpflichtet und dieses Anliegen zur Chefsache in allen Rathäusern gemacht. Die ILE besteht aus zehn Gemeinden mit 40 Dörfern in den Landkreisen Schweinfurt und Bad Kissingen.
Die interkommunale Allianz Oberes Werntal wurde schon vor 20 Jahren als eine der ersten in Bayern gegründet. Managerin beziehungsweise Umsetzungsbegleiterin (so die offizielle Bezeichnung) Eva Fenn beschrieb im alten Obbacher Rathaus in einer PowerPoint-Präsentation, wie die Gemeinden zusammenarbeiten und in welchen Feldern bevorzugter Handlungsbedarf identifiziert wurde. Die Verwaltung finde immer wieder Synergien, was beispielsweise zu Veränderungen bei den Abläufen in den Bauhöfen geführt habe, verdeutlichte Fenn. Als Erfolgsfaktoren beim Bemühen, vor allem junge Paare dazu zu bringen, statt auf der grünen Wiese neu zu bauen lieber innerorts vorhandene Gebäude zu sanieren, nannte sie eine kostenlose Erstbauberatung, die Obbacher Bauhütte, eine „Bauschauhaus“ und einen Aktionstag zur Innenentwicklung im Zwei-Jahres-Rhythmus. So sei es gelungen, etwa 40 Prozent der aufgegebenen landwirtschaftlichen Hofstellen anderweitig zu nutzen und 60 Prozent der Wohnhäuser zu reaktivieren. Als weiteren Erfolg zählte die Managerin auf, dass das Obere Werntal seit 2015 Ökomodellregion ist.
Großer Zusammenhalt
Alle anwesenden lokalen Politiker – angefangen beim Landtagsabgeordneten Paul Knoblach über Bezirksrat Stefan Funk und Landrat Florian Töpper bis zur Kreis- und Gemeinderätin beziehungsweise stellvertretenden Euerbacher Bürgermeisterin Gabriele Jakob – bestätigten, dass sämtliche positiven Initiativen einer „Anschubfinanzierung“ durch öffentliche Mittel bedürfen. Wenn diese ausblieben, gerate auch das bisher Erreichte in Gefahr. In der Region Schweinfurt stünden Stadt und Land glücklicherweise nicht in starker Konkurrenz; beide bedienten eine unterschiedliche Klientel. Zum Beispiel würden diejenigen, die ihren Traum vom Eigenheim zu verwirklichen versuchen, sich vorwiegend im Umland umschauen, während andere sich in einer sanierten Mietwohnung in den ehemaligen amerikanischen Kasernen am Stadtrand wohlfühlen.
Der Minister lobte den Zusammenhalt und das neidlose Miteinander der Kommunen. Er freute sich, dass regelmäßig die Bedürfnisse der Bevölkerung über die Organisationsstruktur der ILE abgefragt werden und die Bürgerbeteiligung großgeschrieben wird. Das waren Punkte, an denen er einhakte. Aufmerksam und sehr interessiert verfolgte er alle Beiträge an den verschiedenen Stationen.
Als Özdemir einen Vermerk zu den Ereignissen des 31. Juli 2023 im Goldenen Buch der Gemeinde Euerbach signierte, kommentierte er schmunzelnd: „O, ich komm‘ gleich nach Söder.“
Beim Blättern im Goldenen Buch der Gemeinde Niederwerrn hatte er zuvor festgestellt, dass er sich hier am „Ascherdonnerstag“ 2019 schon einmal hat eintragen dürfen. – Aber: Aller guten Dinge sind drei. Wann wieder? Bürgermeisterin Bärmann kündigte an, dass die „Neue Mitte“ 2024 fertig werden soll…